30.07.2025
Netzwerk für die Elimination
Plus-Forum 2025: 8. Bundesweites Netzwerktreffen
Im Mai 2025 fand in Wiesbaden zum 8. Mal das bundesweite PLUS-Forum statt. Sie konnten nicht dabei sein oder möchten sich im Nachgang noch einmal über alle innovative Lösungsansätze informieren – sehen Sie hier die Highlights.
Auftakt des PLUS-Forums
Dr. Britta Großner und Viktor Kitschkin aus dem Hepatitis-C-Eliminationsteam von AbbVie begrüßen die etwa 130 Teilnehmenden zum 8. bundesweiten PLUS-Forum im Mercure Hotel in Wiesbaden. Die Schwerpunkte des diesjährigen Forums liegen auf der Elimination von Hepatitis C sowie auf dem Thema Sucht. Das Publikum umfasst Fachleute aus den Bereichen Medizin, Suchthilfe, Patient*innen-Organisationen und der sozialen Arbeit. Der Austausch, das Best-Practice-Sharing und das Netzwerken sowohl interdisziplinär als auch innerhalb der Berufsgruppen stehen im Fokus der Veranstaltung.
Auch in diesem Jahr wird das PLUS-Forum durch den Markplatz begleitet, auf dem sich Unternehmen präsentieren, die sich im Bereich Hepatitis C, der Suchtmedizin und Diagnostik engagieren. Zu den teilnehmenden Firmen gehören die Abbott Rapid Diagnostics Germany GmbH, die Camurus GmbH, die Cepheid GmbH, die Echosens Deutschland GmbH, die Apotheke Substicare sowie das Labor Krone eGbR. Die Unternehmensvertreter freuen sich, die Besucher*innen des Forums zu begrüßen und in den Austausch zu gehen.
Offiziell eröffnet wird die Veranstaltung von Jutta Ulbrich, Leiterin des Geschäftsbereichs HCV. „In dieser Veranstaltung steckt ganz viel Herzblut“, leitet sie ein und bedankt sich beim Organisationsteam: „Das Forum lebt von den Teilnehmenden und den Referent*innen, aber auch von ganz viel Koordination.“ Die Veranstaltung ist mittlerweile so stark gewachsen, dass die räumlichen Kapazitäten am Firmensitz erschöpft sind. Dass man tatsächlich eine Erkrankung nicht nur behandeln kann, sondern dass man sie heilen kann, gibt es nicht häufig in der Medizin. „Wir wollen über Erfolgsgeschichten reden, wir wollen zum Nachahmen anregen. Das ist etwas, das, wie ich in der Vergangenheit gehört habe, ganz viel Wert stiftet“, beschreibt sie den Geist des Forums. Abschließend übergibt sie an Marion Rustler und richtet persönliche Worte des Danks an sie. Marion Rustler wird nach mehr als 2-jähriger Tätigkeit als Leiterin des HCV-Eliminationsteams zukünftig die Marketingleitung in der Hepatitis C bei AbbVie einnehmen.
Marion Rustler bedankt sich für den herzlichen Abschied und stellt das zweitägige interaktive Programm vor. Sie schließt die Vorstellung mit den Worten „Wir wissen, dass die Hepatitis C-Elimination nur dann funktionieren kann, wenn wir alle gemeinsam anpacken und gut vernetzt daran arbeiten“, und übergibt an den ersten Referenten, Herrn Dr. Buggisch.
PLUS informiert: Hepatitis-C-Elimination 360°
Dr. Peter Buggisch | Hamburg
Dr. Buggisch eröffnet seine Präsentation mit Basiswissen zur Hepatitis C, einer Erkrankung mit sehr unspezifischen Symptomen, wie z. B. Müdigkeit und Abgeschlagenheit, und einer hohen Verbindung zu psychischen Problemen, wie z. B. Depressionen. „Wir betrachten die Hepatitis C als Systemerkrankung, weil viele Komplikationen auftreten können, die man gar nicht direkt mit der Leber verbindet“, fasst der ärztliche Leiter des Leberzentrums Hamburg am IFI-Institut für Interdisziplinäre Medizin zusammen.
Eines der Probleme der Patient*innen ist die weiterhin vorherrschende Stigmatisierung. „Die Patient*innen werden zum Teil auch heute noch, über 30 Jahre nach Entdeckung der Erkrankung, ausgegrenzt und stigmatisiert“, so Buggisch. Er berichtet von einem aktuellen Fall, in dem das Zimmer einer Krankenhauspatientin mit einem Schild versehen wurde, das vor ihrer Infektiosität warnt: „Infektiös, Vorsicht bitte!“ und kommentiert: „Das mag man gar nicht laut erzählen. Solche Praktiken sollten der Vergangenheit angehören, und deshalb müssen wir aktiv daran arbeiten, das Bewusstsein zu schärfen und Stigmatisierung abzubauen.“
Grundsätzlich lässt sich HCV einfach nachweisen: Im ersten Schritt wird typischerweise auf Antikörper getestet. Fällt dieser positiv aus, folgt ein PCR-Test, der direkt nach Hepatitis-C-Viren sucht und damit feststellt, ob die Erkrankung noch aktiv ist. Er appelliert: „Wir sollten alle motivieren, sowohl innerhalb der Gesundheitsuntersuchung (Check-up 35) als auch innerhalb von Risikogruppen möglichst viel zu testen. Das geht eigentlich in Deutschland auch.“ Die Hepatitis-C-Therapie bewertet der Experte als Erfolgsgeschichte: „Das ist wirklich eine der bahnbrechenden Errungenschaften der Medizin der letzten 20, 30 Jahre. Es gibt eine Therapie, die das Virus eliminiert!“, so Buggisch und verweist auf eine Therapieerfolgsrate von weit über 90 % bei kurzer Therapiedauer und guter Verträglichkeit. Er illustriert, dass das Therapieprinzip in allen Gruppen funktioniert. „Auch wenn die Patient*innen einen Alkoholabusus haben oder wenn sie noch Drogen konsumieren oder wenn sie substituieren, das funktioniert trotzdem“, fasst er die Datenlage zusammen.
Den Check-up 35 bewertet Buggisch als wichtigen Beitrag, HCV in der Allgemeinbevölkerung zu eliminieren. Allerdings ist die Untersuchung auf Hepatitis B und C im Rahmen des Check-ups fakultativ. Eine Analyse zeigt, dass sie lediglich von etwa der Hälfte der Hausärzt*innen angefordert wird. „Das heißt, wir verschenken eine ganze Hälfte der Patient*innen, die zu der Untersuchung kommen“, fasst er zusammen. Er präsentiert im Anschluss aktuelle Daten vom HCV-Tracker (www.hcv-tracker.de) und weist auf ein wachsendes Delta zwischen Diagnose und Therapie hin: „Immer noch werden Patient*innen, obwohl sie die Diagnose erhalten, nicht behandelt. Die Lücke hin zu dem eigentlichen Ziel wird von Jahr zu Jahr größer.“ Als eine Ursache identifiziert er die fehlende Vernetzung im Gesundheitssystem. Er fordert daher, dass Hausärzt*innen die lokalen Behandlungszentren kennen.
Abschließend präsentiert er Daten einer aktuellen Therapiestudie, nach der die Erfolgsraten auch dann sehr hoch sind, wenn einzelne Tabletten ausgelassen werden. Er schlussfolgert: „Auch bei Patient*innen, die vielleicht mal die Einnahme an einem Tag vergessen, können wir trotzdem einen Heilungserfolg erzielen.“
PLUS informiert: Aktuelle Entwicklungen in der Versorgung von Suchtpatient*innen
Dr. Maurice Cabanis | Stuttgart
„Infektiologie ist ohne Suchtmedizin nicht zu denken“, eröffnet Dr Cabanis, ärztlicher Direktor der Klinik für Suchtmedizin am Klinikum Stuttgart und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, seinen Vortrag und ergänzt: „Umgekehrt aber auch nicht Suchtmedizin ohne eine ganzheitliche Behandlung.“
Der Experte beginnt mit einem grundlegenden Problem der Suchtmedizin: „Jeder hat ein Anrecht, egal welche Erkrankung er hat, auf eine angemessene Behandlung. Die Menschen, die an Substanzgebrauchsstörungen leiden, bekommen aber leider nicht den Standard der Behandlung.“ Im Durchschnitt dauert es 10 Jahre bis zur ersten Behandlung, ein Zeitraum, in dem die Erkrankung längst chronifiziert ist.
Zudem führt er die rasche Veränderung des Drogenmarktes hin zu hochpotenten Opioiden an und ergänzt warnend: „Die Gesellschaft ist bereit, das zu ignorieren.“ Die Architektur der Suchthilfe ist zudem sehr komplex. So sind auf Makroebene die Kliniken, Suchtberatungsstellen und niedergelassenen Ärzt*innen getrennt, es fehlt ein Navigationssystem für die einzelnen Angebote. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass es immer weniger substituierende Ärzt*innen gibt. Darüber hinaus besteht ein großes Stadt-Land-Gefälle. „Es gibt viele Einzelstränge, die tolle Arbeit leisten, die aber wenig miteinander verbunden sind. Es braucht Veränderungen in den Versorgungsstrukturen“, resümiert der Experte. Unterm Strich erhalten Menschen mit Substanzgebrauchsstörungen nicht die Hilfe, die sie brauchen. Hinzu kommt, dass grundsätzliche soziale Probleme, wie z. B. Wohnungslosigkeit, auf die Suchtmedizin übertragen werden, aber von der Gesellschaft nicht gelöst werden. Dr. Cabanis führt das Best-Care-First-Time-Modell aus Australien als gutes Beispiel für frühzeitige Gegenmaßnahmen an.
Der in Stuttgart geplante „Gelenkbus“ ist ein weiteres positives Beispiel für ein gut integriertes Versorgungsmodell. Dabei handelt es sich um einen Bus, in dem sämtliche Behandlungen, wie z. B. die infektiologische Behandlung, allgemeinmedizinische Behandlungen und Substitution angeboten werden sollen.
Eine besondere Herausforderung in der Suchtmedizin ist die Ausbildung: „Ich kann Medizin studiert haben, ohne einen Satz über Suchtmedizin gehört zu haben. Ich kann eine Facharztausbildung machen, ohne einen Satz über Suchtmedizin gehört zu haben“, so Cabanis. Der Kurs für die Zusatzbezeichnung für eine suchtmedizinische Grundversorgung ist kurz und theoretisch. Die Ausbildung erfährt leider nicht die notwendige Wertschätzung.
Angesichts zunehmender Stigmatisierung, der Erosion von Hilfsstrukturen, dem demografischen Wandel, geringerer Forschungsförderung und der rasanten Änderung des Drogenmarktes appelliert der Experte: „Wir müssen aktiv gestalten, wir müssen Allianzen bilden, wir müssen Peers einbeziehen, wir müssen von Menschen lernen, die Erfahrung mit Substanzkonsum haben.“ Entscheidend für die Zukunft sind die Unabhängigkeit von einzelnen Partialinteressen sowie die Verbesserung der Versorgung als Leitprinzip mit zentraler Koordination.
PLUS interagiert: Breakout-Sessions
Breakout-Session 1 – Hepatitis-C-Nurse-Fortbildung: Aus der Praxis für die Praxis
Moderation: PD Dr. Holger Hinrichsen | Kiel; Richard Kamm | München
Referent*innen: Enes Karakoc | Kiel; Sylvia Schwarz | Heinsberg
Diese Breakout-Session richtet sich an medizinische Fachangestellte und wird von den Experten PD Dr. Holger Hinrichsen und Richard Kamm moderiert.
Zunächst berichtet Enes Karakoc aus Kiel, wie am Gastroenterologisch-hepatologischen Zentrum, einer internistischen Gemeinschaftspraxis, Awareness für Hepatitis B und C geschaffen wird. In Hinblick auf die Allgemeinbevölkerung geschieht dies vor allem über die Gesundheitsuntersuchung Check-up 35. Er weist eindringlich auf die Notwendigkeit hin, bei der Laboranforderung unbedingt das Kreuz zum Test von HBV und HCV zu setzen, da dies nicht automatisch geschieht und der Test bei Nicht-Beachtung leider nicht durchgeführt wird.
Um auch spezielle Bevölkerungsgruppen zu diagnostizieren, werden von der Praxis auch außergewöhnliche Wege beschritten, wie z. B. ein zweisprachiger Vortrag während des Freitagsgebets in der Moschee mit anschließender Möglichkeit der HBV- und HCV-Testung im Büro des Imams. Darüber hinaus gibt es eine enge Kooperation mit dem Checkmobil der Aidshilfe Schleswig-Holstein.
Im Anschluss berichtet Sylvia Schwarz, examinierte Krankenschwester aus Heinsberg, wie die Awareness in einer Allgemeinmedizinpraxis mit dem Schwerpunkt Suchtmedizin geschaffen wird. In der Praxis wird bei der Aufnahme standardmäßig auf Hepatitis B und C sowie auf HIV gescreent und es werden weiterführende jährliche Kontrollen durchgeführt.
Die besondere Rolle der Nurse zeichnet sich u. a. durch Erklären, Motivieren, dem Nehmen von Ängsten sowie der Vermittlung zwischen dem ärztlichen Personal sowie den Patient*innen aus. Beide Vorträge sind die Grundlage eines lebhaften Austauschs in der dieser Breakout-Gruppe.
Breakout-Session 2 – „Offenes Mikrofon“: Aktuelle Anliegen der sozialen Arbeit in der Hepatitis-C-Versorgung
Moderation: Jens Ahrens | Berlin; Anette Piecha | Frankfurt; Dr. Nazifa Qurishi | Köln
In dieser Breakout-Gruppe sind in erster Linie Sozialarbeiter*innen versammelt, die über aktuelle Herausforderungen berichten und über Lösungsansätze diskutieren.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde werden die Anliegen der Gruppe über ein symbolisches Mikrofon vorgetragen. Die Gruppe ist sich einig, dass die Motivation zur Testung sowie zur Behandlung von schwer erreichbaren Patient*innen sehr hoch ist, nur die Barrieren eben noch höher liegen.
Die vulnerablen Patient*innen haben häufig viele andersgelagerte Probleme, die sie im Alltag priorisieren, um zu bestehen. Eine Hürde sind z. B. psychische Komorbiditäten. „Wenn sich die Psyche bessert, dann ist auch die Bereitschaft zur Therapie höher“, so der Konsens im Auditorium. Allerdings haben Suchtpatient*innen, die auf der Suchtszene herauskommen, fast überhaupt keine Chance, Fachärzt*innen für Psychiatrie zu konsultieren. „Und wenn sie es irgendwann doch geschafft haben, dann wird die Abhängigkeitserkrankung meistens ignoriert“, wird ergänzt.
Ein weiteres Problem, welches von den Sozialarbeiter*innen durch die Bank als zentrale Herausforderung benannt wird, ist der fehlende Versicherungsschutz, ohne den die Therapie leider nicht vorgenommen wird. Fehlender Versicherungsschutz betrifft in erster Linie Migrant*innen und darüber hinaus häufig auch Sexarbeitende. Das Einbinden von Clearing-Stellen ist ein Hoffnungsschimmer für die Betroffenen, grundsätzlich muss das Thema aber von der Politik angegangen werden.
Beklagt wird auch der generelle Mangel an Behandler*innen, insbesondere mit der Aufgeschlossenheit zur niedrigschwelligen Behandlung. Die Anzahl an Substitutionsärzt*innen ist darüber hinaus rückläufig. Immer mehr Patient*innen müssen sich auf immer weniger Ärzt*innen verteilen. Eine wichtige Stütze bei der Behandlung sind Peers, die nicht nur auf Augenhöhe beratend mit Mythen aufräumen, sondern auch aktiv die Behandlung begleiten und auch die Nachsorge im Blick haben.
Breakout-Session 3 – Interdisziplinäre Versorgung von Suchtpatient*innen
Moderation: PD Dr. Stefan Christensen | Münster
Referent: Dr. Hans Tilmann Kinkel | Berlin
Unter Mitwirkung von Dr. Peter Buggisch | Hamburg: Dr. Maurice Cabanis | Stuttgart; Dr. Karlheinz Keppler | Steinfeld
Die Breakout-Session für Mediziner*innen beschäftigt sich mit der interdisziplinären Versorgung von Suchtpatient*innen im Spannungsfeld von psychosozialer Betreuung und Substitution.
Der Referent Dr. Till Kinkel stellt heraus, dass die Grundvoraussetzung in der Behandlung von Suchtpatient*innen darin besteht, die Menschen auf Augenhöhe abzuholen. Zu den übergeordneten Zielen der substitutionsgestützten Behandlung zählt neben den rein medizinischen Schwerpunktzielen, wie z. B. Überleben und Stabilisierung des Gesundheitszustands, die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen. Menschen müssen – falls auch so gewünscht – in die Lage versetzt werden, wieder am gesellschaftlichen Leben sowie am Arbeitsleben teilzuhaben.
Ob und in welchem Zeitrahmen Ziele auch jeweils einzeln erreicht werden können, hängt wesentlich von der individuellen Situation der Suchtpatient*innen ab. Ebenso zielt die psychosoziale Betreuung auf die (Wieder-) Eingliederung und Teilhabe am Leben in Gemeinschaft ab. Die soziale Reintegration durch Entwicklung notwendiger Fähigkeiten bis hin zur selbstständigen Lebensführung ist ein weiteres Ziel. Dass Suchtpatient*innen im Behandlungsverlauf vielleicht auch mal einen Termin nicht wahrnehmen, ändert nichts daran, dass sie ein hohes Bedürfnis an Heilung haben.
Der Moderator PD Dr. Stefan Christensen weist daraufhin, dass Patient*innen insbesondere während des Aufenthalts in Suchtkliniken sehr aufgeschlossen gegenüber Beratung zu Themen wie z. B. HIV und Hepatitis sind.
PLUS fragt nach – Expert*innen antworten
Moderation: Prof. Dr. Christoph Sarrazin | Wiesbaden
Expert*innen: Prof. Dr. Markus Cornberg | Hannover; PD Dr. Holger Hinrichsen | Kiel; Dr. Karlheinz Keppler | Steinfeld; Beatrix Meier | Bremen; Claudia Schieren | Köln; Serdar Yüksel, MdB | Berlin
Wie in den vergangenen Jahren wird die Expert*innen-Diskussion von Prof. Dr. Christoph Sarrazin, Chefarzt der Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie am St. Josefs Hospital und Leiter des Leberzentrums Wiesbaden sowie Vorstand der Deutschen Leberhilfe e.V. sowie der Deutschen Leberstiftung, moderiert.
Für einen regen Austausch sorgen auch 2025 die etablierten Buzzer, über die man sich jederzeit mit zeitlich begrenztem Redebudget zu Wort melden kann. Serdar Yüksel kann terminbedingt leider nicht an der Diskussion teilnehmen. In einem aufgezeichneten Videogruß aus Berlin stellt er in Aussicht, das Thema HCV-Prophylaxe und -Therapie in seiner neuen Rolle als Mitglied des Bundestags mit Tatkraft im Gesundheitsausschuss zu vertreten.
Prof. Sarrazin eröffnet angesichts stagnierender Diagnoseraten die Diskussionsrunde mit einer Frage zur Gesundheitsuntersuchung (Check-up 35): „Sind die Ärzt*innen langsam müde mit dem Kreuzchen bei der Hepatitis C oder gibt es einfach nicht mehr so viele Patient*innen?“ PD Dr. Holger Hinrichsen aus Kiel berichtet über eine Auswertung aus Schleswig-Holstein: „Wir haben sie bei Weitem noch nicht alle diagnostiziert, der Check-up 35 wird in unserem Bundesland tatsächlich von nicht mal 50 % der Personen in Anspruch genommen.“ Die Expert*innen haben den Eindruck, dass einige Ärzt*innen den Test gern anbieten, andere dagegen nicht, „weil sie nicht wissen, was man mit den positiv getesteten Patient*innen machen soll.“ Entsprechend den aktuellen Leitlinien sollte die antivirale Behandlung unverzüglich begonnen werden, wenn Anzeichen einer chronischen Infektion mit Hepatitis C vorliegen. Insgesamt wird der Check-up 35 mit einer aktuellen Detektionsquote von 0,1 % bis 0,13 % HCV-RNA-Positivität als Erfolg gewertet, auch, weil die Quote oberhalb der Kosteneffizienzquote von 0,07 % liegt. „Weiter Bohren, Bohren, Bohren“, lautet das Fazit. Weil der Check-up 35 in erster Linie auf die Allgemeinbevölkerung abzielt, widmen sich die Expert*innen im weiteren Verlauf der Runde den vulnerablen Gruppen, wie z. B. Menschen mit Migrationshintergrund. Im Gegensatz zu Tuberkulose wird in Erstaufnahmeeinrichtungen bundesweit kein Test auf Hepatitis-C angeboten. PD Dr. Hinrichsen berichtet, dass Schleswig-Holstein hier eine Ausnahme darstellt. Dort nehmen viele Menschen das Angebot wahr und es gibt viele positive Testergebnisse. Allerdings sind die Menschen, mit Ausnahme von Flüchtenden aus der Ukraine, zu dem Zeitpunkt noch nicht versichert. Der Experte erachtet es als äußerst problematisch, wenn Menschen letztlich getestet werden und mit einer Diagnose allein gelassen werden, ohne weitere Unterstützung oder klare Behandlungswege.
„Das ist ein Unding“, resümiert der Experte. Die Betroffenen werden dann von der Erstaufnahmeeinrichtung auf die Kommunen verteilt und die Testergebnisse gehen verloren. Aktuell wird mit dem Gesundheitsministerium daran gearbeitet, dass die Daten dieser Testungen gespeichert werden und den Menschen geholfen wird. Ein weiteres Problem besteht darin, dass vom Sozialamt ausgestellte Behandlungsscheine zurzeit nur für die Therapie akuter Krankheiten eingesetzt werden können.
Die Expert*innenrunde ist sich einig, dass das WHO-Ziel nicht erreicht werden kann, wenn sich beim Versicherungsstatus geflüchteter Menschen nichts ändert. Für Bürger*innen aus der EU ohne Versicherung gibt es immerhin die Möglichkeit, wie z. B. in Köln, an Gesundheitsämtern Clearing-Stellen einzubinden. Manchmal besteht im Heimatland noch ein sogenannter Restversicherungsschutz. Allerdings ist die Therapie häufig daran gebunden, dass die Menschen zurückkehren müssen. Mittlerweile gibt es Entscheidungen von Gerichten zugunsten von Hepatitis-C-Behandlungen. Dies wird als Ermunterung angesehen, in Einzelfällen eine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen.
Die Expert*innenrunde widmet sich mit Menschen in Haft einer weiteren wichtigen vulnerablen Gruppe. Herr Dr. Keppler, über viele Jahre als Gefängnisarzt tätig, gibt Einblicke in das laufende Projekt „Hepatitisfreie JVA“ in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Hessen, das mit dem Rückenwind der jeweiligen Justizministerien umgesetzt wird. An dem Projekt nehmen die JVAen Bochum, Köln und Kassel teil. Ergebnisse liegen zum aktuellen Zeitpunkt allerdings noch nicht vor, seine Erwartungshaltung hat sich allerdings etwas relativiert. Im weiteren Diskussionsverlauf wird klar: trotz vieler Einzelinitiativen fehlt es an politischem Willen. „Um das Ziel 2030 zu erreichen, muss die Politik handeln.“ Dr. Keppler weist auf die besondere Konstellation hin, dass das Bundesministerium für Gesundheit keine Direktive auf die Justizministerien im Land hat. Daher sei es enorm wichtig, Lösungswege im Strafvollzugsausschuss der Länder, in dem sich alle Justizministerien der Länder regelmäßig treffen, zu entwickeln.
Beim Thema HCV-Therapie bei Suchtpatient*innen stellten sich die Expert*innen gegen die immer noch existierende Haltung, dass die Therapie in dieser Gruppe vergeblich sei. „Es lohnt sich nicht. Die nehmen die Tabletten nicht, schmeißen sie weg oder sonst was“, sind Einstellungen, auf die man in der Praxis immer wieder stößt. „Wir haben exzellente Daten, dass das alles nicht der Fall ist“, entgegnet Prof. Sarrazin und ergänzt: „Es gab gerade jetzt nochmal die Publikation einer Studie, die unterstützt, dass sich die Therapie lohnt!“ Auch Patient*innen, die im Behandlungsverlauf nicht alle Tabletten eingenommen hatten, hatten in der Studie eine sehr hohe Chance, von Hepatitis C geheilt zu werden.
Die Diskussionsrunde fassen die Expert*innen wie folgt zusammen: „Wir können festhalten, wir haben in Deutschland alles, was es braucht. Wir haben die Sozialarbeit, wir haben MFAs, wir haben Expert*innen für Justiz, für Sucht, für Migration und wir haben exzellente Ärzt*innen.“ Um noch mehr bewegen zu können, benötigen diese Menschen die Unterstützung der Politik. Die zukünftige Therapieleitlinie wird daher einen Katalog von Forderungen enthalten, was umgesetzt werden muss, damit die HCV-Elimination bis 2030, zu der sich die Bundesregierung grundsätzlich verpflichtet hat, auch umgesetzt werden kann. „Wir hoffen, damit auch noch mal ein bisschen den Druck erhöhen zu können“, schließt Prof. Sarrazin.
Der Blick über den Tellerrand – Kulturwachsame Ansprache
Dr. Solmaz Golsabahi-Broclawski | Bielefeld
Frau Dr. Solmaz Golsabahi-Broclawski, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztliche Leiterin am Medizinischen Institut für Transkulturelle Kompetenz und Niederlassung im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie in Bielefeld, eröffnet den zweiten Tag mit dem mittlerweile traditionellen Blick über den Tellerrand zum Thema kulturwachsame Ansprache.
Während die Diagnose, z. B. von Hepatitis C weltweit gleich ist, wird die Art der Artikulation der Erkrankung aufgrund abweichender Einstellungen und Grundvoraussetzung auf Seiten der Patient*innen unterschiedlich verstanden. Sie stellt fest: „Wir müssen Barrieren überwinden, aber um Barrieren überwinden zu können, müssen wir überhaupt wissen, dass wir selbst eine Barriere sind.“ Ärzt*innen kommunizieren in der Regel in einem medizinischen Jargon, der von den Patient*innen nicht unbedingt verstanden wird. Sie ergänzt: „Und noch weniger wissen die Patient*innen, was wir von ihnen wollen, wenn sie aus einer anderen Kultur kommen.“
Während in Deutschland eine individualistische Kommunikationskultur herrscht, sind Menschen aus anderen Kulturen diesbezüglich häufig kollektivistisch geprägt, was die Erwartungshaltung an eine direktive Ansprache impliziert. „Das widerstrebt uns und führt dazu, dass die Kommunikation schiefläuft“, erklärt sie und verweist auf Probleme mit Medikamenten-Non-Compliance, welche regelmäßig im Rahmen von Medikamentenspiegelüberprüfungen aufgedeckt werden. Während die einfache Frage „Haben Sie mich verstanden?“ im deutschsprachigen Raum völlig normal erscheint, wird sie in anderen Sprachen missverstanden.
Im weiteren Verlauf weist sie auf die Gefahren hin, im Kontext von sehr persönlichen Themen, wie z. B. Hepatitis C und Sucht, Angehörige als Dolmetscher*innen hinzuzuziehen. „Generell sind Dolmetscher*innen häufig selbst das Problem“, berichtet die mehrsprachige Ärztin aus Ihrer Erfahrung als Gutachterin und ergänzt: „Häufig wird dann suggestiv übersetzt.“ Daher sollten Dolmetscher*innen vor dem Einsatz hinsichtlich Wissenstand und Einstellung überprüft werden. Manchmal ist es daher besser, mit KI als mit Dolmetscher*innen zu arbeiten. Die Expertin selbst verwendet gern Übersetzungs-Tools.
PLUS inspiriert: Vielversprechende Ansätze für die HCV-Elimination
Dr. Iris Roxane Engelbart | Lübeck; Dr. Nazifa Qurishi |Köln; Prof. Dr. Ingolf Schiefke | Leipzig
Dr. Iris Roxane Engelbart | Lübeck
Frau Dr. Engelbart gibt ein Update zum HCV-Eliminationsprojekt in Lübeck, welches den Fokus auf Risikogruppen richtet, die nicht selbst den Weg zu den Therapieangeboten und etablierten Gesundheitseinrichtungen finden.
Dazu wurde schrittweise ein Netzwerk mit niedrigschwelligen Einrichtungen etabliert. Enorm wichtige Player dieser Allianz sind die Aidshilfe, die Suchthilfe und die AWO-Drogenhilfe mit der neu eröffneten Begegnungsstätte. „Ohne die würde das Projekt gar nicht richtig funktionieren“, bemerkt die Expertin. Zuweisungen erfolgen aber auch von Hausärzt*innen, Fachärzt*innen, vom Gesundheitsamt, von Substitutionspraxen und der Suchtklinik.
Dr. Engelbart hebt die große Bedeutung der AWO-Begegnungsstätte hervor, einem Ort, in dem Menschen Essen bekommen, Spritzen tauschen und sich informieren können. „Hier kann man ins Gespräch kommen, ernsthaft zuhören und die Ruhe finden, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten“, beschreibt sie das belebte Zentrum. Die Kommunikation findet im Vergleich zu Terminen in der Hochschulambulanz mehr auf Augenhöhe statt.
Auf HCV positiv getestete Menschen mit bestehendem Behandlungswunsch werden schnell der Therapie zugeführt. Lediglich die Klärung des Versichertenstatus gestaltet sich manchmal problematisch. Im bisherigen Projektverlauf wurden 47 Klient*innen der AWO mit positivem HCV-Antikörperstatus beraten und 35 davon geheilt. Aktuell nehmen die Zuweisungen aus umliegenden Entzugskliniken zu, das Netzwerk verfestigt sich zunehmend.
Dr. Nazifa Qurishi | Köln
Frau Dr. Nazifa Quirishi gibt auch in diesem Jahre ein Update zum mehrphasigen Projekt „Hepatitis-freies Köln“ (www.hepatitisfreies-koeln.de).
Sie ist seit 2010 niedergelassene Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie mit der Zusatzbezeichnung Suchtmedizin und betreibt gemeinsam mit Kolleg*innen eine große infektiologische Substitutionspraxis. Während es in der ersten Projektphase darum ging, die Allgemeinbevölkerung und die Hausärzt*innen gezielt für das HCV-Screening im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung zu sensibilisieren, wurden in der zweiten Projektphase vulnerable Gruppen über Drogenberatungsstellen adressiert.
Zur Steigerung des Bewusstseins für das Projekt wurden im Herbst 2024 weitere Aktionen umgesetzt, wie z. B. eine aufmerksamkeitsstarke Plakataktion zu Karnevalsbeginn und eine Presseinitiative mit einer Presskonferenz. Eine weitere wichtige Aktion war ein runder Tisch unter Beteiligung des Gesundheitsamts sowie der Bundespolizei. „Ein sehr schöner Tag mit sehr konstruktiven Vorschlägen“, resümiert die Expertin und ergänzt: „Die Aktionen haben zu einem Schwung neuer Patient*innen geführt.“ Das Projekt steht aktuell am Übergang zur Phase 4, in der ausgewertet werden soll, wie viele Menschen im Rahmen dieses Projekts in Köln letztendlich behandelt wurden. Das Ergebnis wird mit Spannung erwartet.
Prof. Dr. Ingolf Schiefke | Leipzig
Prof. Ingolf Schiefke, Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie sowie Ernährungsmedizin und Chefarzt am Klinikum St. Georg in Leipzig, stellt das Projekt „LeoH: Leipzig ohne Hepatitis“ vor, ein gemeinsames Projekt des Universitätsklinikums Leipzig, des Klinikums St. Georg und des Wissenschaftlichen Instituts für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung WiG2 GmbH. Das Projekt wird von den Firmen AbbVie und Gilead unterstützt.
Leipzig ist der Hotspot Sachsens für die Erkrankungen Hepatitis B und C. „Wir wurden bei diesem Projekt vom Projekt Hepatitis-freies Köln inspiriert und haben das Projekt zwei Jahre lang beobachtet“, eröffnet der Experte seine Präsentation. Das Projektziel von LeoH besteht in der Verbesserung der Versorgungssituation von Betroffenen mit chronischer Virushepatitis im Raum Leipzig.
In der 1. Phase wird ein regionales Netzwerk aller Hepatitis-Stakeholder aufgebaut und es wird der Ist-Zustand erhoben. Zu den Netzwerkpartnern zählen die Landesuntersuchungsanstalt, das Gesundheitsamt in Leipzig sowie Vertreter der Stadt und der Politik. Des Weiteren saßen Vertreter der KV Sachsen, der Landesärztekammer Sachsen und des Sächsischen Staatsministerium für Gesundheit beim Kick-off-Meeting mit am Tisch.
In dieser ersten Phase soll die Testquote im Check-up 35 erhöht werden, eine Behandlung der HCV kann in Schwerpunktpraxen, an der Universität Leipzig sowie am städtischen Klinikum St. Georg erfolgen.
Prof. Schiefke fasst zusammen: „Der erste Schritt ist die Etablierung einer Plattform, die gewährleistet, dass wir den Weg von Patient*innen zu den Behandler*innen schneller finden“, und ergänzt: „Und wenn wir diese Struktur stabil aufgebaut haben, wollen wir in der zweiten Phase die vulnerablen Gruppen dort mit hineinbringen.“
Die Datenauswertung wird über das unabhängige wissenschaftliches Institut WIG2 GmbH erfolgen. Der Experte hofft, im kommenden Jahr vielleicht schon erste Ergebnisse präsentieren zu können.
Workshoprunden
Die Teilnehmer*innen trennen sich in Gruppen auf und nehmen an Workshops teil.
Workshop 1: Leben mit Hepatitis C – Vor und nach der Behandlung
Claudia Ak | Wiesbaden; Dr. Jan Brackmann | Bottrop; Dr. Sabine Mauruschat | Wuppertal; Torsten Zelgert | Köln
Im mit Ärzt*innen und Patientenvertreter*innen interdisziplinär besetzten Workshop wird der Ansatz „Jeder Patient ist ein Individuum, und es bedarf daher einer individualisierten Therapie.“ verfolgt.
Dies bedeutet, dass Patient*innen nicht nur über das Substitut oder die medikamentöse Therapie mitentscheiden, sondern auch über alle weiteren Maßnahmen, die zur Wiederherstellung der seelischen und körperlichen Gesundheit notwendig sind. Daraus resultiert eine ganzheitliche, individualisierte Therapie.
Die Rolle der Peers wird besonders hervorgehoben, denn Peers können durch einen verbesserten emotionalen Zugang zu den Patient*innen einen entscheidenden Beitrag zur Optimierung der Behandlung beitragen. Insbesondere jüngere, perspektivlose Patient*innen sollten mit Hilfe der Peers mehr an die Hand genommen werden. Ein umfassendes Versorgungskonzept beinhaltet neben der Behandlung auch die Aufklärung und die Nachsorge. Die berufsübergreifende Zusammensetzung des Workshops wird von den Teilnehmenden als sehr wertvoll empfunden.
Workshop 2: Aufsuchender Ansatz: Der Weg von der Hepatitis-C-Testung bis zur Behandlung
Joachim Ade | Heilbronn; Sarah Armbrecht | Nürnberg; PD Dr. Stefan Christensen | Münster
In diesem von PD Dr. Stefan Christensen moderierten Workshop werden zwei Beispiele für einen aufsuchenden Ansatz präsentiert und diskutiert.
Herr Joachim Ade berichtet von einem Hepatitis C Tag im Heilbronner Kontaktladen, der in Kooperation mit AbbVie, den Vereinen Aidshilfe Unterland und Mevesta sowie dem städtischen Gesundheitsamt angeboten wurde. Erfolgsfaktoren für die Umsetzung waren ein Essensangebot, eine ansprechende Atmosphäre und gute Gespräche sowie eine Rückzugsmöglichkeit für Blutabnahme und Beratung. An dem Tag konnten 14 Antikörpertests und 7 PCR-Tests durchgeführt werden. Erwähnenswert ist die hohe Bereitschaft, Mobilfunknummern für die Kontaktaufnahme zu hinterlegen, wodurch das Nachfassen enorm erleichtert wird.
Das Vorhalten von Behandler*innen am Testtag gestaltete sich angesichts von Praxisschließungen und der damit einhergehenden Überlastung als Herausforderung, die leider nicht bewältigt werden konnte. In Vorbereitung auf den nächsten Testtag sollen zwei gastroenterologisch und eine dermatologisch tätige Praxis angesprochen werden.
Die Psychologin Sarah Armbrecht berichtet von den Ergebnissen der Aktivitäten des Nürnberger HCV-Netzwerks. Das Netzwerk, mittlerweile im dritten Jahr aktiv, ist stark gewachsen. Zu den Netzwerkpartnern zählen Behandler*innen, die Stadt Nürnberg, der medizinische Dienst der Regierung von Mittelfranken sowie Einrichtungen aus der Suchthilfe, der Strafentlassungshilfe sowie aus Asyl und Migration. Vom Netzwerk wurden im letzten Jahr 59 Veranstaltungen angeboten mit einer Ansprache von 614 Menschen. Von 156 durchgeführten Antikörperschnelltests waren 29 reaktiv, die in 15 Diagnosen einer Virushepatitis resultierten. Bislang wurden 5 Personen behandelt, 6 sind auf dem Weg zur Behandlung, zu 4 Personen ist der Kontakt verloren gegangen. Als Schlüssel zum Behandlungserfolg hat sich das Verständnis für die individuelle Situation der Betroffenen herausgestellt sowie die Begegnung auf Augenhöhe.
Workshop 3: Alternde Sucht- und Substitutionspatient*innen – neuen Herausforderungen begegnen
Richard Kamm | München und PD Dr. Gerlinde Teuber | Frankfurt
In diesem Workshop beschäftigen sich die Expert*innen mit der wachsenden Gruppe alternder Sucht- und Substitutionspatient*innen.
Diese bringen spezifische Herausforderungen mit sich, wie z. B. Gebrechlichkeit, Pflegebedürftigkeit und kognitive Einschränkungen. Substitution und Konsum können u. U. bestehende altersbedingte Leiden weiter verstärken, was die Zuordnung zum Alter oder zur Sucht erschwert. Im Workshop wird festgestellt, dass die Versorgung der Patient*innen in Altersheimen in Deutschland sehr heterogen ist. Während Heime in Berlin diesbezüglich sehr progressiv agieren, wird die Aufnahme der Patient*innen im Rest von Deutschland von den Heimen häufig abgelehnt.
Auch wird die Versorgung substituierter Patient*innen von der Mehrheit der Pflegedienste als problematisch erachtet und häufig abgelehnt. Das Gleiche trifft auf Hospize zu. Dort fehlt in der Regel die Anerkennung, dass es sich um Suchterkrankungen im Endstadium handelt.
Am Ende des Workshops wird festgehalten, dass sich die aktuellen Herausforderungen nur politisch adressieren lassen. Die Probleme alternder Sucht- und Substitutionspatient*innen müssen unbedingt verstärkt in die verantwortlichen politischen Gremien getragen werden. In der täglichen Praxis sind Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen bei diesen Patient*innen unbedingt im Blick zu behalten.
Workshop 4: „Fast track City“ und Gesundheits-Check-Points
Niklas Gudorf | Berlin; Hannah Kolbe-Harms | Düren; Stephanie Leitz | Bochum; PD Dr. Adriane Skaletz-Rorowski | Bochum; Marlen Vahle | Düren
Dr. Adriane Skaletz-Rorowski stellt zunächst die Eckpunkte der Initiative vor: Fast-Track-Cities verfolgen das Ziel, HIV, Aids, Hepatitis und weitere Krankheiten bis zum Jahr 2030 aus den Städten zu entfernen.
In Deutschland zählen Berlin, Bochum, Frankfurt a.M., München, Städte der Region Aachen sowie – in Anbahnung - Mannheim zu den Fast-Track-Cities. Jede Stadt verpflichtet sich in Bezug auf Hepatitis B und C bis 2030 symbolisch zur Reduktion der Infektionen um 90 %, zur einer die Behandlungsquote von 80 % sowie zur Reduktion der HBV- und HCV-assoziierten Todesfälle um 65 %. Die Umsetzung erfolgt unter Einhaltung von 0 % Diskriminierung in Hinblick auf den Zugang zu Test- und Versorgungsangeboten.
Im weiteren Verlauf des Workshops wird vorgestellt, wie die Initiative in den Städten Berlin und Bochum umgesetzt wird. In Bochum geschieht das z. B. über die starke Vernetzung der Partner in der Versorgung von HIV und STI. Verhaltensprävention ist zudem ein wichtiger Bestandteil des Konzepts.
In Berlin finden jährliche Summits als Plattform für den fachlichen Austausch und die politische Vernetzung statt. Die Region Aachen umfasst weltweit den ersten grenzüberschreitenden Verbund. Diesem gehören die Städte Aachen, Lüttich und Maastricht an. Die Region ist ein exzellentes Beispiel für gelebte europäische Zusammenarbeit. In der Vergangenheit wurden Sondertestaktionen mit der Unterstützung von AbbVie durchgeführt.
PLUS präsentiert: „Linkage to care in der Praxis“
Jens Ahrens | Berlin; Nicole Britzke | Bremen; Manuel Eigmann | Berlin; Dr. Konstantin Kandlen | Kiel; Sabrina Klier | Köln
Jens Ahrens | Berlin
Jens Ahrens, Geschäftsführer der Berliner AIDS-Hilfe, berichtet von der Herangehensweise beim Testprojekt „Positiv gesund“ im Ankunftszentrum Tegel.
Das von AbbVie unterstütze Projekt richtet sich an Menschen, die aufgrund des Ukraine-Krieges nach Berlin geflüchtet sind. In der Ukraine ist die HCV-Prävalenz mit 3-5 % sehr hoch, in vulnerablen Gruppen, wie z. B. bei Menschen mit Substanzkonsum, noch höher. Im Ankunftszentrum in Tegel sind bis zu 6.000 Menschen untergebracht. „Aktuell haben wir im Flughafen Tegel eine Situation des Rückstaus. Das heißt, bis die Leute überhaupt einen Arzt sehen, oder einen Sozialarbeiter sehen, vergehen Wochen oder auch Monate“, erläutert der Experte.
Um dem zu begegnen, soll vor Ort eine Angebotsstruktur mit zwei hauptamtlich Mitarbeitenden und Peers geschaffen werden, um Hepatitis C- und HIV-Infektionen aufzudecken. Auch sollen im Rahmen des Projekts vor Ort HCV- und HIV-Tests durchgeführt werden. Positiv getestete Menschen sollen in die Berliner AIDS-Hilfe transferiert werden. Dort bemühen sich die Sozialarbeiter*innen dann um die Vermittlung ins System. Das Projekt sollte schon im Jahr 2024 starten, hat sich aber leider verzögert: „Wir benötigen drei Container, zwei Beratungsräume und einen Wartebereich“, erklärt Ahrens und ergänzt: „Wir sind aber gerade dabei, dies irgendwie hinzukriegen.“
Manuel Eigmann | Berlin
Manuel Eigmann, Sozialarbeiter am Fixpunkt in Berlin, stellt mit „Mobilix – Test it“ ein weiteres Mikroeliminationsprojekt aus Berlin vor, über das schwer zu erreichende Menschen mit Medikamenten versorgt werden können.
Zur Zielgruppe zählen Menschen, die Drogen konsumieren und geflüchtete Menschen. „Alle können zu uns kommen und wir schauen, ob wir sie weitervermitteln.“ Eigmann hebt die örtliche Flexibilität des Ansatzes hervor: „Wir arbeiten an wechselnden Standorten im gesamten Stadtgebiet.“ Das Team besteht zurzeit aus zwei Sozialarbeiter*innen, zwei Ärzt*innen, einer pädagogischen Sprachmittlung sowie einer Pflegefachkraft. Die Sprechstunden sind zu festen Zeiten und pro Standort ein bis zweimal die Woche zwischen drei und fünf Stunden. Die Angebote sind kostenlos und werden auf Wunsch anonym durchgeführt. „Wir vermitteln auf Wunsch in die notwendige Therapie und können auch dorthin begleiten“, stellt er einen wichtigen Punkt heraus.
Am Fallbeispiel Juri gibt er Einblicke in die konkreten unterstützenden Tätigkeiten und hebt hervor: „Der entscheidende Punkt war, dass Juri jeden Tag zu uns zum Konsumieren kam und er seine auf seinen Wunsch bei uns verwahrten Medikamente erhalten hat.“ Juri konnte dadurch von HCV befreit werden.
Nicole Britzke | Bremen
Nicole Britzke von der ambulanten Suchthilfe Bremen präsentiert die Erfahrungen zum Tricycle-Projekt.
Dabei handelt es sich um ein mobiles Lastenrad für die niederschwellige Versorgung von Menschen aus der Bremer Drogenszene. Der Vorteil: Die Aktionen mit dem Lastenrad müssen vorab nicht beim Ordnungsamt angemeldet werden. Zudem erreicht man mit dem Rad flexibel auch Szeneplätze, die nicht motorisiert erreichbar sind. „Die Menschen erkennen uns wieder“, erläutert sie und hebt das wachsende Vertrauensverhältnis der Szene zu den Streetworkern hervor.
Jedes Jahr gibt es in Zusammenarbeit mit AbbVie eine Auftaktveranstaltung, im Sommerhalbjahr ist das Lastenrad viel aktiver als im Winterhalbjahr. Im Jahr 2025 werden erstmal Trockenbluttestungen in das Testungsrepertoire aufgenommen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Ermunterung von Ärzt*innen, Behandlungen durchzuführen.
Leider gibt es auch einige negative Aspekte zu berichten. So kritisiert Britzke die rigorose Vertreibungspolitik der Stadt Bremen, die die Szene zunehmend verunsichert und die Arbeit der Streetworker untergräbt. Eine weitere aktuelle große Herausforderung ist der Wandel bei den konsumierten Drogen hin zu Crack und synthetischen Opioiden, die zu einer steigenden Anzahl von Todesfällen geführt haben.
Sie resümiert: „Wir brauchen einen langen Atem und wir brauchen weiterhin Kreativität. Deswegen liebe ich es, hierher zu kommen und von den ganzen anderen Projekten wieder so gute Ideen zu klauen.“
Sabrina Klier | Köln
Sabina Klier von Vision e.V. für innovative Drogenhilfe aus Köln berichtet von den Ansätzen des Vereins, die eine bedarfs- und lebensorientierte gerechte Versorgung von Menschen mit Drogengebrauch gewährleisten.
Der Verein wurde 1990 von aktiv Gebrauchenden gegründet und bietet ein vielfältiges Angebot der klassischen Drogenhilfe, welches grundsätzlich dem Gedanken zur Selbsthilfe verbunden ist.
Eine Besonderheit ist, dass das Kontaktcafé, welches von den Nutzer*innen als Ruheraum vom Szenealltag genutzt wird, ausschließlich von Peers besetzt ist. Dies ermöglicht den schnellen Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses, da die Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden. „Der Sprachgebrauch ist ein anderer und im Kontext von HCV können Test- und Behandlungsrate erhöht werden“, bringt die Referentin die Vorteile auf den Punkt.
Seit einigen Jahren haben sich darüber hinaus jährliche Aktions- und Testtage in direkter räumlicher Nähe zur Kölner Szene etabliert. Auch 2025 wird wieder ein Testtag an einem Szenestandort stattfinden, allerdings nicht mit ärztlichem Personal vor Ort. Stattdessen ist geplant, gemeinsam mit Interessierten direkt eine Praxis in unmittelbarer Nähe zur Beratung und Testung aufzusuchen.
Dr. Konstantin Kandlen | Kiel
Dr. Konstantin Kandlen, Koordinator bei der AIDS-Hilfe Schleswig-Holstein, liefert ein Update zum Check Mobil, einem Eliminationsprojekt für den ländlichen Bereich, welches u.a. von AbbVie unterstützt wird.
Das Mobil bietet vulnerablen Gruppen Tests und Beratung für HIV und Hepatitis C an und liefert somit seit fast zwei Jahren einen wichtigen Beitrag für die Versorgung, Beratung und Testung im ländlichen Raum. Das Check Mobil fährt aktuell 20 Stationen verteilt über das Flächenland Schleswig-Holstein an. Seit Projektbeginn wurden 525 HCV-Tests durchgeführt, davon 36 positive Schnelltests, wovon 23 durch PCR bestätigt wurden. Insgesamt wurden 12 Menschen einer Behandlung zugeführt.
Das Check Mobil ist mittlerweile auch ein Teil des Projekts „Manpower“ im Rahmen dessen anonyme und kostenlose Testungen in Gay-Cruising-Areas entlang der Autobahnen in Schleswig-Holstein angeboten werden. Das Projekt ist mit 6-monatiger Verzögerung gestartet, mittlerweile wurden 26 Personen getestet. Das Check Mobil wird neuerdings auch im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen, wie z. B. dem CSD, dem World AIDS Tag und der Kieler Woche eingesetzt.
Zu den Erfolgsfaktoren des Projekts zählen belastbare Beziehungen zu den richtigen Kooperationspartnern. Darüber hinaus ist die Stellplatzwahl wichtig. Nicht zuletzt ist es essenziell, Fachärzt*innen zu finden, die schnell und tolerant Termine vergeben. Ein fehlender Versichertenstatus und ein fehlender Aufenthaltsstatus stellen dagegen immer wieder Herausforderungen dar.
Abschluss der Veranstaltung
Dr. Britta Großner und Viktor Kitschkin bedanken sich unter starkem Applaus bei den Referent*innen und den Teilnehmenden für den inspirierenden zweitägigen Austausch.
Nie zuvor war das Interesse an einem PLUS-Forum größer als in diesem Jahr, die Veranstaltung hat sich zu einer starken Marke entwickelt. Auch in diesem Jahr wurden viele neue Impulse gesetzt. Beide betonen, dass sie enorm motiviert aus der Veranstaltung herausgehen.
Mit der Bitte, die Feedbackbögen auszufüllen, werden die Teilnehmer*innen zum Mittagessen und anschließender Heimreise verabschiedet. Die Feedbackbögen werden sorgfältig ausgewertet, und die Anregungen der Teilnehmer*innen werden – sofern umsetzbar – gern bei der nächsten Veranstaltung berücksichtigt.
Es folgt der abschließende Hinweis, dass das PLUS-Forum im kommenden Jahr am 12./13.06.2026 stattfinden wird.
Ein Dank an alle Teilnehmer*innen, Referent*innen, Akteur*innen vor und hinter den Kulissen – ohne Sie wäre diese Veranstaltung nicht zustande gekommen! Wir freuen uns auf ein Wiedersehen beim nächsten PLUS-Forum!
Ihr AbbVie-HCV- und PLUS-Team
Hier können Sie sich den gesamten Bericht herunterladen.
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